2. Schönhengster Brauchtum aus alter Zeit

Es folgt nun eine aus heutiger Sicht amüsante Beschreibung der Schönhengstler.

Entnommen ist der Beitrag aus dem Band des zweiten Jahrgang 1906 der „Mitteilungen zur Volkskunde des Schönhengster Landes“. Eigentlich stammt der Beitrag aus Jurendes „Wanderer für das Jahr 1813“, wo er unter dem Titel „Die Schönhängstler. Eine ethnographische Skizze“ erschienen ist.
Der lebendige und überaus wertvolle Bericht wird mit geringfügigen Kürzungen, in der Rechtschreibung und Zeichensetzung der Zeit um 1813 wiedergegeben.

Vorbemerkung

Die Schönhängstler sind größtenteils Deutsche. Sie wohnen in der Umgebung des berühmten und merkwürdigen Waldgebirges und Passes Schönhängst, von dem sie den Namen haben: nämlich an der böhmisch-mährischen Gränze in der Gegend der Städte Trübau, Zwittau, bis gegen Landskron, LeutomischI und Hohenstadt. Bisher ist über dieses merkwürdige Volk noch nichts gedruckt worden.

Die Race; Lebensart, Sitten, Religion

Stark und groß ist meistentheils beim männlichen Geschlechte der Körperbau, bei dem weiblichen mittelmäßig. Auffallend ist eine gewisse Aehnlichkeit der Gesichtsbildung beim weiblichen Geschlechte fast durchaus und interessant für den Anthropologen fast allgemein sind: eine hohe platte Stirne, blaue Augen, stark aufgeworfene Lippen, dicke rote Backen, die sich mit einem spitzigen Kinn endigen. Bei den Männern läßt sich diese Aehnlichkeit außer der blauen Augen weniger wahrnehmen. Unverkennbar ist aber an beiden Geschlechtern eine vollkommene blühende Gesundheit.

Nahrung

So einfach ihre Kleidung ist, so ist auch ihre Nahrung einfach. Brod, Erdäpfel, Sauerkraut, Milch ist ihre tägliche Kost. An Sonntägen ist Hirsebrei, in Milch gekocht und mit Lebkuchen bestreut, eines ihrer vorzüglichsten und beliebtesten Gerichte. Nur an hohen Festtagen wird in den meisten Häusern Fleisch genossen.

Wohnung

Aber desto mehr verwenden sie auf ihre Wohnungen. Diese tragen hier einen gefälligen Charakter. Sie sind fast durchaus im Viereck gebaut, geräumig für Menschen und Vieh -ziemlich zweckmäßig und bequem -und im Durchschnitte auch reinlich. Sehr oft werden sie das Jahr hiedurch ausgeweißet. - Ihren größten Stolz setzen sie auf schöne Pferde und Wägen und hierin treibt sie ihr Wetteifer oft bis zur Eitelkeit.

Religion

Diese ist durchaus katholisch. Man hängt hier sehr an dem Äußerlichen der Religion; d. h. er liebt Wahlfahrten, feierliche Prozessionen und alle Religionsgebräuche, die mit Pomp und Prunk gefeiert werden. Die Schale gilt ihnen mehr als der Kern.

Einreißendes Sittenverderbnis

Das allgemein einreißende Sittenverderbnis hat auch hier Eingang gefunden. Z. B.: Wenn ehemals ein lediges Mädchen Mutter wurde, so war das Aufsehen groß, weil dieser Fall beinahe unerhört war; und von ehelicher Untreue war kaum etwas zu hören! Und jetzt! Es ist nicht mehr auffallend, daß in einer mittelmäßigen Pfarre im Durchschnitt jährlich 14 uneheliche Kinder in der Kirchenmatrik verzeichnet. werden.

Besondere Gebräuche

Das Faschingsrößl

Zur Faschingszeit zechen junge Bursche Wochenlang auf Rechnung der Rößelseinnahme. Es wird nämlich ein Rößle d. i. ein kleines Puppenpferd, dem der Reuter seine Füße leiht, mit dem ganzen Reutzeug ausgerüstet. Damit ziehen die ledigen Mannspersonen unter großem Zusammenlaufe von Groß und Klein, besonders der Jugend, durchs Dorf und besuchen damit die Häuser der Bauern und der wohlhabenden Einwohner.

Die Rößeleinnahme

Im Freyen und beim Eintritt in den Stuben macht das übermüthige schön geputzte Pferd seine Saltu mortale, oder Luftsprung. Nachdem es sich nun zur Unterhaltung der Hausfamilie eine Zeitlang herum getummelt hat, so bitten die Begleiter um einen Beytrag zum Hufbeschlag. — Ein Groschen, der in die Büchse gelegt wird, und zwey Kuchen, die dem Reuter übergeben werden, welche beide Stücke schon auf dem Tische in Bereitschaft liegen, sind ein gleichsam schon ausgemachtes Geschenk.
Bequemlichkeit der jungen Männerwelt.

Die Mädchen kommen ungerufen ins Wirtshaus

Aber weit reichlicher wird die lustige Gesellschaft von den mannbaren Töchtern des Hausvaters und den Dienstmägden in der Absicht beschenkt, damit sie im Gasthofe oder Wirtshause Tänzer bekommen mögen. (Auch hier, so wie fast überall am Lande findet sich bei weitem eine überzählige Schaar der reifen weiblichen Jugend auf dem Tanzboden bei der Musik ungerufen und ungebethen zahlreich ein.)
Ein besonderes Douceur auf Zeche und Musik bekömmt auch bey dieser Gelegenheit jeder gegenwärtige Liebhaber der Mädchen im Hause. Dagegen bedienen die Bursche ihre Auserwählten, sowie alle Hausgenossen mit einem Glase Bier, das sie in einer großen Kanne mit sich führen.


Der Aschermittwochs-Bär

Am Aschermittwochstage wird einer der Bauernjungen als Bär angezogen und an der Kette von Haus zu Haus herumgeführt. In den Stuben der Einwohner wird er zum Tanze gezwungen fast auf die nämliche Art wie ehemals die herumziehenden Polen mit ihren Tanzbären. Die Begleiter bekommen ebenfalls Geld, Eyer, auch wol hie und da Getreide.
Für dieses Possenspiel ist man derart eingenommen, daß man sich mit den Faschingslustbarkeiten nicht befriedigt, wenn der Ascherbär fehlt. Als vor einigen Jahren in dem Dorfe X keiner unter den Bauernjungen den Bär machen wollte, so zwang der Erbrichter seinen Sohn (künftigen Nachfolger im Richteramte), diese Rolle zu spielen.

Eine artige Ostersitte

Zu Ostern bringt der Geliebte seiner Schönen ein Geschenk mit einer Flasche Rosoglio, der sehr süß sein muß, und eben deswegen stark mit Honig gemischt wird. Das Gegengeschenk der Auserwählten ist ein - schönes Tüchel.

Der Jubel des Aerntefestes
Der Aernteschmaus.

Zur Aerndtezeit werden die Schnitter in großen Haushaltungen nach vollbrachter Arbeit mit Musik vom Felde abgeholt und dann mit einer Mahlzeit von fünf Gerichten bewirtet. (Auch sonst, so lange die Aerntearbeit dauert, prangen 5 Gerichte auf dem Tische der Arbeiter.) Singend und jauchzend zieht die Jugend beiderley Geschlechtes am Abend des Aerntefestes in großen Haufen durchs Dorf. Die Mädchen, welche vorangehen, singen in einem sehr hohen Tone, und die Burschen beschließen jeden Absatz des Liedes mit langem Jauchzen.

Das Brodabschneiden
(Spuren ehemaliger Gastfreundschaft)

Die weit verbreitete Sitte, welche auch im Gesenke durchaus herrscht, daß man Jeden, der auf Besuch ins Haus kommt, Brod vorlegt, oder wie man zu sagen pflegt, Brod nehmen läßt, waltet noch heilig hier. Ist es nur ein gemeiner und nicht befreundeter Mensch, so reicht man ihm das Brod, wie es bereits abgeschnitten ist, mit der Bemerkung: „Er möcht von einem kleinen Stücke ein großes abschneiden!“ Ist es aber Jemand aus der Freundschaft, oder ein ansehnlicher Gast, den man auszeichnen will, so bringt man einen ganzen Laib, schneidet ihn vor seinen Augen an, legt das Messer darauf und reicht es ihm unter beständigen Zudringlichkeiten, daß er sich ein großes Stück davon abschneiden solle: ungeachtet es für eine große Unart gelten würde, wenn sich der Gast mehr als einen Bissen nähme. Diese Ehrenbezeugung darf nicht außer Acht gelassen oder vergessen werden, sonst würde es für ein Zeichen der Unhöflichkeit, Geringschätzung oder wohl gar der Feindschaft angesehen werden.
Die Klage lautet dann gewöhnlich so: Aber das sind Leute! Nicht einmal Brot haben sie mich nehmen lassen.

* Der Brauch des Aschermittwoch-Bärs, ein sicherlich lärmvolles Spiel in ernster Zeit, darf uns nicht verwundern. Später fand das „Bärentreiben“ im Schönhengstgau am Dienstag der Fasenacht, „uf dr letztn Fosnd“ statt. Aber solche zeitliche Abweichungen und Verschiebungen waren im alten Brauchtum gang und gäbe.


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